Der Abgas-Manipulationsskandal von Volkswagen kommt dem Unternehmen teuer zu stehen. Der Börsenwert von Volkswagen verlor laut Wirtschaftswoche binnen kürzester Zeit rund 15 Milliarden Euro. Der Kursverlust der VW-Aktien belief sich am Montag auf bis zu 20%. Analysten sagten einen Gegentrend voraus, der allerdings bislang ausbleibt (siehe Screenshot von Onvista unten). Die Aktie befindet sich ganz im Gegenteil weiterhin im freien Fall: Inzwischen kratzt der Kursverlust der VW Stammaktie (WKN 766400) sogar schon an der 30%-Marke.
Die Wirkung auf das gegenwärtige Vermögen des Konzerns ist immens. Die Porsche Automobil Holding SE hält derzeit gut 50% der Volkswagen-Aktien. Gemessen am bilanziellen Vermögen der Muttergesellschaft von VW macht der Wertverlust umgerechnet 38% der Aktiva von Porsche am 31.12.2014 aus.[1]
Während VW eine Gewinnwarnung herausgeben musste, bleibt Vorstandschef Winterkorn im Amt (Update: Inzwischen hat sich Martin Winterkorn entgegen seines ersten Statements doch für einen Rücktritt entschieden). Winterkorn gab zu verstehen, dass es sich um einen Fehler „einiger weniger“ handle. Nachdenklich stimmt allerdings, wie gravierend sich dieser Fehler finanziell im Vergleich zu anderen Softwarefehlern auswirkt. Einer der wohl teuersten bekannten Softwarefehler ist die fehlerhafte Software der Ariane 5 Rakete. Der finanzielle Schaden belief sich hier auf 370 Mio. $. Eine Zahl, die für Volkswagen wahrscheinlich noch eine Art Best-Case Szenario darstellen würde (Update: In 2015 beträgt der Verlust von Volkswagen 4,1 Mrd. €, s.u.).
Meine Befürchtung ist, dass dies erst der Anfang einer längeren VW-Krise ist. VW wird es im Nachgang der #Dieselgate-Affäre schwer haben, sich wieder von der Krise zu erholen. Eine PR-Krise, sei sie von klassischem und/oder Online-Format, kann vielfältige wirtschaftliche Auswirkungen haben. Hier haben wir es allerdings mit gleich zwei Imagekrisen derselben Marke zu ein und demselben Thema zu tun, die sich binnen fünf Jahren ereignen. Erst 2011 hatte Greenpeace auf Aktivitäten von VW aufmerksam gemacht, die sich gegen geplante EU-Richtlinien zur Senkung von CO2-Emissionen richteten.
Bei den aktuellen Vorwürfen soll Volkswagen durch eine Software Abgaswerte seiner Autos manipuliert haben, was laut der US-Umweltbehörde EPA einem Verstoß gegen den „Clean Air Act“ gleich kommt. Die aktuelle Reichweite in klassischen und sozialen Medien ist immens: Amerikanische und deutsche Medien berichten über das Thema, Ticker werden eingerichtet, auf Twitter sind die Hashtags #Dieselgate und #VWgate bereits seit Tagen in den im Trend. In den Köpfen der Zielgruppen bleibt also wiederholt hängen, dass Volkswagen der Positionierung mit Bluemotion und Think Blue gleichzeitig fragliche Unternehmenspraktiken beim Thema CO2-Emissionen an den Tag legt.
Was sind also mögliche Szenarien, auf die VW sich einstellen muss? Es gibt diverse wissenschaftliche Studien, die die wirtschaftlichen Auswirkungen von klassischen und Online-PR-Krisen untersucht haben.[2] In diesen Studien wurden die folgenden Effekte beobachtet. Allerdings war dort nur eine Krise aufgetreten, bei Volkswagen könnte der Effekt durch den doppelten Imageschaden zu ein und demselben Thema bedauerlicherweise größer sein.
- Direkte finanzielle Auswirkungen (Zeit des Abklingens im Schnitt ca. 1 Jahr)
- Zukünfige Cash-Flows verringern sich
- Aktien entwickeln sich negativ: Stärkere Kursverluste und -schwankungen
- Indirekte finanzielle Auswirkungen
- Der Marktanteil von Konkurrenten nimmt zu
- Der Marketing-Mix wird weniger effektiv
Besonders der zweite Punkt hat es in sich. Die Marketing-Instrumente, insbesondere Preisänderungen und Kommunikation verlieren durch Imageschäden immens an Wirkungskraft. Bei einem in der Studie von Van Heerde angeführten Beispiel von Kraft Foods bewirkten Preiserhöhungen nach der Krise um 500 Prozent stärkere Absatzeinbrüche als vorher. Die langfristige Werbewirkung verringerte sich um 30 Prozent. Am schlimmsten war jedoch Folgendes: Während Werbung der Konkurrenz vor der Krise einen positiven Effekt auf den Absatz von Kraft Foods hatte, kehrte sich dieser infolge der Krise in einen negativen Effekt um. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Krise von Volkswagen positiv auf den Aktienkurs und den Absatz von Elektroauto-Herstellern – beispielsweise dem amerikanischen Elektroauto-Hersteller Tesla – auswirken könnte.
Zusammengefasst: Aktienkursverluste, Umsatzverluste, Imageeinbußen & geringere Effektivität der Werbung sind gleich mehrere zu verdauende Tiefschläge
Das Image von Volkswagen wird durch die Krise leider mit ziemlicher Sicherheit nachhaltig geschädigt sein. Auch das Handwerkszeug von Marketing und PR des Konzerns werden mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter funktionieren als vorher. Es wird stärkeren Aufwand kosten als vorher, die Markenpositionierung von VW als umweltbewusste Automarke zu behaupten. Ein guter Rat an VW könnte sein, verstärkt auf Innovation zu setzen, und dies in der Kommunikation in den Fokus zu stellen. Das Thema Umweltfreundlichkeit im Zusammenhang mit VW wird in der Zukunft sehr wahrscheinlich zu negativ besetzt sein.
Update: Volkswagen macht den größten Verlust der Firmengeschichte
Was die finanzielle Bedeutung der VW-Krise anbelangt, hat sich meine Prognose leider bewahrheitet. Mit 4,1 Mrd. Euro Verlust hat Volkswagen heute das schlechteste Ergebnis der Firmengeschichte eingefahren. Der Verlust kommt zwar zunächst nur durch die großen Rückstellungen zustande, die Volkswagen zur Bewältigung der Krise auf die hohe Kante legt. Für die Zukunft bleibt allerdings zu hoffen, dass die erwarteten Aufwendungen nicht überstiegen werden, oder vielleicht geringer ausfallen werden als die Buchhaltung befürchtet.
[1] Berechnung: Es gibt insgesamt knapp 476 Mio. VW-Aktien. Diese waren zum Freitag, den 18.09.2015 pro Stück 161,35 € wert (Siehe Onvista: VW-Stammaktie & VW-Vorzugsaktie). Heute, am 23.09.2015 sind sie bis zu 30% weniger, also ca. 113 € wert. Pro Aktie macht das einen Kursverlust von 48,35 € aus. Da Porsche von den VW-Aktien 50,76% und damit ca. 241 Mio. VW-Aktien hält, macht das einen nach Marktwert berechneten Gesamtverlust von knapp 11,7 Mrd. €. Die Wertpapiere, die Porsche an VW hält, sind also knapp 12 Mrd. € weniger wert. Bei einer Bilanzsumme der Porsche Automobil Holding SE von 30,5 Mrd. € am 31.12.2015 entspricht das einem Äquivalent von 38% der Aktiva des Unternehmens, auch wenn die Aktien nicht mit ihrem Marktwert in den Büchern stehen. Wäre dies so, würde die Wertminderung in jedem Fall weniger als 30% des Bilanzvermögens entsprechen.
[2] Ich fasse hier die Ergebnisse der Studien von Xueming Luo und Harald Van Heerde et al. zusammen.
One thought on “#Dieselgate: Welche langfristigen Auswirkungen hat Volkswagen zu befürchten?”
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