Gegen Hass im Internet kann man etwas tun. Zum Beispiel mit einer #Smilestorm Kampagne, wie sie derzeit von der Zeitschrift Glamour mit einigen Bloggern gemacht wird. Glamour wartet in einem großen Special mit Interviews und Beiträgen von Experten zum Thema Cybermobbing, Shitstorms und Hating im Netz auf. Unter dem Hashtag #Smilestorm soll gemeinsam auf Facebook und Twitter ein Zeichen gegen Hass im Internet gesetzt werden.
Interessant ist hier die indirekte strategische Abgrenzung gegen die Zeitschrift InTouch. Intouch fällt mir durch regelmäßige Falsch- und Skandalmeldungen über Shitstorms auf, die aus Klatsch & Tratsch-Themen über Promis entstehen (siehe Link). In überraschend vielen Fällen liegt aber gar kein Shitstorm vor, sondern eben nur eine sensationelle Meldung. Fairerweise sei hier gesagt, dass die Intouch mit solchen Berichten nicht allein da steht. Besonders schlimm sind solche Meldungen, wenn sie von Presseverteiler zu Presseverteiler springen und am Ende tatsächlich von Usern weiter verbreitet werden, selbst wenn im Grunde gar kein Shitstorm vorliegt. Echte Beispiele für Shitstorms kann man in dieser Übersicht finden, die ich für das Internet Magazin zusammengestellt habe.
Eine häufigere Prüfung ob wirklich ein Shitstorm vorliegt wäre also wünschenswert, das kann man auch als Leser oder betroffene Person tun. Dazu habe ich mir ein objektiv nachvollziehbares Prüfmuster überlegt, das man in der Abbildung unten sehen kann. Treffen die unten genannten Punkte der Checkliste zur Shitstorm-Erkennung nicht zu, kann man fälschliche Meldungen identifizieren bevor man empört eine Falschmeldung glaubt oder gar weiter verbreitet. Nicht zuletzt kann man sich überlegen das verbreitende Medium selbst mit Kritik zur Rede zu stellen, doch das sei jedem selbst überlassen.
Was kennzeichnet einen Shitstorm?
Die Punkte stammen aus meiner folgenden Shitstorm -Definition aus meiner Diplomarbeit über Shitstorms.* Sie ist so entwickelt worden, dass sie möglichst objektiv nachvollziehbar ist und wurde mit Feedback von Experten weiterentwickelt.
„Ein Shitstorm ist ein Prozess, bei dem User das Verhalten initiieren oder adaptieren ein offizielles Social Media Profil zu stürmen und zu besetzen. Das so attackierte Social Media Profil ist offizielles, virtuelles Terrain einer bestimmten Person, Organisation oder einer Marke, die eines bestimmten Fehltritts bezichtigt wird. Während der Zeit des Shitstorms wird das attackierte Profil mit einer gewaltigen, unnormalen Anzahl von kritischen und aggressiven Kommentaren übersät. Mit dieser Kommentarmasse versuchen die attackierenden User das Verhalten der betroffenen Person, Organisation oder Marke zu hinterfragen, zu kritisieren, kontrovers zu diskutieren, publik zu machen und dessen Image negativ zu beeinflussen. Mit den letzteren beiden Absichten zielen die attackierenden User darauf ab, Druck aufzubauen, eine Reaktion auf dem betroffenen Profil zu erzwingen und gegebenenfalls das Verhalten der hinter dem Profil stehenden Person, Organisation oder Marke zu ändern.“
Hintergrundlektüre zu den Ursachen von Shitstorms
Die zentrale Ursache von Shitstorms ist der „wahrgenommene Fehltritt“. Er ist der Anlass zum Protest. Ein Fehltritt passiert aus Sicht der Kunden, wenn entweder das verkaufte Produkt oder der gebuchte Service nicht den Erwartungen entspricht, oder die Marke bestimmten Wertevorstellungen entgegenwirkt. Die User sind dann unzufrieden und laufen in den sozialen Medien Sturm.
Shitstorms bei denen die Erwartungen an das Produkt oder den Service nicht erfüllt wurden, haben sich zum Beispiel bei der Deutschen Telekom, Vodafone oder bei Thermomix zugetragen. Wer wissen möchte, wie solche Unzufriedenheiten mit Produkten und Dienstleistungen zustande kommen, kann sich mit den Themen Customer Satisfaction und Service Quality auseinandersetzen. Angesehene Experten in diesem Bereich sind Wayne Hoyer und Valerie Zeithaml. Wayne Hoyer liefert mit seinem Buch „Consumer Behavior“ einen guten Einstieg in das Thema Customer Satisfaction. Valerie Zeithaml ist Bestseller-Autorin im Bereich Servicequalität. Beide Bücher sind bei Amazon zu haben, ich habe sie oben verlinkt.
Wenn die protestierenden User keine Kunden der Marke sind, gegen die sie rebellieren, geht es ihnen um Wertevorstellungen. Ganz allgemein gesprochen sind hier Themen wie Umweltschutz, Tierschutz, Religion oder Familie relevant. Die Bärenkämpfe von Royal Canin sind ein Beispiel für solche Shitstorms. Hier ist der Protest sogar zu Fressnapf übergeschwappt, weil die Handelskette für Tierbedarf die Produkte von Royal Canin verkauft.
Wertevorstellungen sind sozusagen das Minenfeld, in dem man sich als Marke oder Person in der Öffentlichkeit bewegt. Produkte, Werbung, PR und Kommunikation von Unternehmen und Personen wird anhand von Wertevorstellungen bewertet. Welche Wertevorstellungen es allgemein in westlichen Kulturen gibt, stellt Wayne Hoyer in seinem Buch „Consumer Behavior“ dar. Wer speziell für den deutschen Markt wissen möchte, welche Wertevorstellungen Social-Media-Tretminen darstellen, kann den oben ebenfalls verlinkten Werte-Index von Peter Wippermann und Jens Krüger zu Rate ziehen. Diese jährlich erscheinende Studie gibt ausführliche Hintergrundinformationen über die aktuelle Werte-Landschaft von Web-Usern, und ist gespickt mit Experten-Interviews und Handlungsempfehlungen zu Werte-basierter Kommunikation.
Noch ein Nachtrag:
Bleiben noch zwei Unbekannte: Meine Definition benutzt beschreibt die Kommentarmasse eines Shitstorms als gewaltig und wann unnormal. Wann trifft dies zu?
Um einen objektiven Maßstab für wissenschaftliche Zwecke zu erhalten schlage ich folgende Überlegungen vor: Die Anzahl von Kommentaren auf einem Social Media Profil ist gewaltig, wenn dessen Handling, also die sorgfältige Beantwortung jedes einzelnen Kommentars unmöglich wird. Diese Idee stammt aus einer Podiumsdiskussion mit David Eicher, CEO der Agentur webguerillas. Hierbei ist natürlich relevant, wie viele Personen für die Betreuung des betroffenen Social Media Profils verfügbar sind. Ab einer vierstelligen Anzahl anfeindender Kommentare pro Tag wird eine individuelle Beantwortung für die meisten Profile allerdings unmöglich sein, und wir können von einem Shitstorm sprechen.
Das zweite Kriterium der Anomalie ist wie folgt zu verstehen: Jedes Social Media Profil realisiert in krisenfreien Zeiten ein normales Niveau an eintreffenden Kommentaren. Der Durchschnitt der täglichen Kommentaranzahl legt also einen „normalen Pegel“ fest, der sich auf einem Social Media Profil standardmäßig einstellt.** Wird dieser Pegel durch eine kritische Diskussion für mehrere Tage durchbrochen, kann man von einer unnormal hohen Anzahl von Kommentaren auf dem betrachteten Social Media Profil sprechen. Die folgende Abbildung visualisiert diesen Zusammenhang idealtypisch. Die grünen gestrichelten Linien markieren den Zeitraum des Shitstorms.
In der Praxis sieht so etwas wie folgt aus. Diese zwei Diagramme stammen aus einer Analyse eines Twitter-Shitstorms, die auf Buzzfeed veröffentlicht wurde.
*Die Diplomarbeit hatte den Titel “Categorizing and Prioritizing Causes for Social Media Shitstorms: Development of a Scientific Model” und wurde von Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau betreut.
**Es gilt das Kriterium der zeitökonometrischen Stationarität zu prüfen. Genau genommen enspricht der Normalkorridor für den Buzz eines Social Media Profils dessen Mittelwert + 1 Standardabweichung. Der idealtypische Verlauf der Kurve kann mit Diffusionstheorien begründet werden. Der Diffusionsprozess für anfeindendes Verhalten findet bei Shitstorms sehr schnell statt. Da die Granularität von Monitoring-Daten meist nur tagesgenau und nicht stunden- oder minutengenau verfügbar ist, ist die Kurve in realen Monitoring Daten meist sehr stark gestaucht. Dass der Buzz von Shit- & Candystorms bei einer entsprechenden Granularität der Daten durchaus die Charistik einer Diffusionskurve annimmt, habe ich zum Spaß einmal per Hand am Fall von Marco Reus veranschaulicht.
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